27. August 2014

"Das Lied vom Winterschwert - Die Tür in den Berg" von Martin Krüger

Mit dem ersten Band "Das Lied vom Winterschwert" öffnet "Die Tür in den Berg" eine neue Fantasy-Welt. Tom Brandner begibt sich, begleitet von einer geheimnisvollen Fremden namens Sara, auf die Suche nach seinem verschwundenen Sohn. Durch ein seltsames Portal in einem alten Schweizer Armeetunnel beginnen sie eine Reise, die sie durch Parallelwelten, vorbei an Krieg, grauenhaften Kreaturen und unerwarteten Freunden bis zu den Grenzen ihres eigenen Verstandes führt, stets im Wettlauf gegen einen uralten Feind.

In Norvald, einem nordischen Königreich, in dem noch immer Schwerter und Speere regieren, und man sich des Nachts an den Herdfeuern Geschichten von längst vergangenen Heldentaten erzählt, beginnt Tom zu begreifen, dass weit mehr als nur das Leben seines Sohnes auf dem Spiel steht: Der allvereinenden Realität selbst droht die Vernichtung, wenn er nicht lernt, seiner wahren Bestimmung zu folgen.

Gleich lesen: Das Lied vom Winterschwert, Band 1: Die Tür in den Berg

Leseprobe:
Alfred Hitchcock sagte einmal sinngemäß, es gebe nichts Unheimlicheres als eine verschlossene Tür.
Ich war damals kein Mensch, der sich allzu sehr jenen übernatürlichen Dingen widmete, die mein Vater mit einer Handbewegung abgetan hätte, als wolle er Fliegen verscheuchen. Gewiss, ich las Romane, sah fern und horchte auf, wenn eine Madonnen-Statue wieder einmal Blut weinte oder eine Hauswand auf wundersame Weise das Abbild eines längst Verstorbenen zeigte, doch tat ich dies mit einem Lächeln auf den Lippen – mit anderen Worten, ich war meinem Vater gar nicht unähnlich, was das Übernatürliche anging.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir am Vorabend jenes Tages, der meine Ansichten gegenüber allem Übernatürlichen in ihren Grundfesten erschüttern sollte, in jenem Hotel in Kreichtal in den Schweizer Alpen »Das Fenster zum Hof« sahen. Ich erinnere mich, wie Victoria und ich, nachdem wir unseren Sohn Michael (aber alle nannten ihn nur Mickey) zu Bett gebracht hatten, auf der Veranda saßen und gemeinsam in den Nachthimmel hinaufblickten.
»Vielleicht sieht er uns zu«, sagte meine Frau zu mir an diesem Abend, als die Sterne klar waren und die Luft nach Abendblumen roch. Die Bergketten rings um uns hoben sich dunkel und gezähnt vor dem Hintergrund ab. Ich nahm sie in den Arm, denn ich wusste, dass sie weinen würde. Da war es drei Jahre her, dass wir unser erstes Kind verloren hatten. Später, als sie längst zu Bett gegangen war, saß ich noch einige Zeit draußen. Nachtfalter umschwirrten die Papierlampen, die bei den Tischen aufgestellt waren, in der Ferne rief ein Nachtvogel, vielleicht ein Uhu.
Manchmal träume ich davon, dass Lukas nicht gestorben ist. Manchmal träume ich, dass ich ihn an jenem Morgen nicht in den Wagen setze, und ihm nicht sage, er solle sich anschallen und sitzen bleiben, weil wir gleich losfahren. Keine Fahrt, kein Ausflug, stattdessen vielleicht ein Anruf, eine Entschuldigung. Victorias Eltern hätten es verstanden. Aber es geschieht, wieder und wieder, selbst in diesem Augenblick, in dem ich hier sitze, in all dem Chaos und der Zerstörung, die mich umgibt. Irgendwo auf der Welt steigt ein Vater mit seinem Sohn ein, sie fahren, und irgendwo gibt der Fahrer eines zwölf Tonnen schweren Lastzugs für einen Augenblick nicht Acht. Irgendwo überlebt der Mann, und der Junge stirbt, irgendwo, aber nicht in meinen Träumen. In meinen Träumen mache ich es immer richtig.
Um mich herum gingen die letzten Gäste zu Bett. Ich sah den Blick des Barmanns; der Pianist war bereits verschwunden, nur sein Flügel stand noch da, die Tasten wie Zähne in einem grinsenden Mund, und jemand kam und schob ihn ins Innere des Hotels, damit die Feuchtigkeit der Nacht der Saitenstimmung nicht schadete. Ich stand auf, ging nach oben, betrat unser Zimmer und betrachtete die schlafenden Umrisse meiner Frau und meines Sohnes, die sich im Mondlicht unter den Laken abzeichneten. Mein Sohn, der sich mit sechs Jahren wieder einmal ins Bett seiner Eltern geschlichen hatte, ihn betrachtete ich lange und innig. Dann kroch ich zu ihnen unter die Decken. In meinen Träumen waren wir eine Familie, die zwei Kinder hatte.
Mitten in der Nacht, ich wusste nicht, wie spät es war, schrak ich hoch. Ich sah mich nach Victoria um, doch sie schlief und Mickey schlummerte ebenfalls. Nur auf der anderen Seite des Zimmers stand die Tür, die nach draußen in den Flur führte, offen. Ich vermutete damals, dass ich sie nicht geschlossen hatte, bevor ich zu Bett gegangen war, doch natürlich täuschte ich mich. Ein kalter Lufthauch wehte heran, er ließ mich zittern. Ich ging hinüber, schloss sie und verharrte dort einen unsicheren Augenblick zweifelnd – dann kehrte ich zum Bett zurück. Die Bettfedern quietschten, als ich mich erneut hinabsinken ließ.
Hitchcock sagte, es gebe nichts Unheimlicheres als eine verschlossene Tür. In Anbetracht dessen, was kommen sollte … nun, er hatte recht.

Am nächsten Morgen wurde Thomas Brandner von einem quirligen, quietschenden Etwas geweckt, das er in den ersten, noch trunkenen Momenten des Halbschlafs beinahe nicht als seinen Sohn erkannt hätte.
»Papa, Papa! Ich kann die Kühe sehen! Die Küühe!« Mickey rannte ins Nebenzimmer, ein wirbelndes, krähendes Ding mit braunem Schopf und der roten Mickey-Mouse-Jacke, die ihm Tom und Victoria zum Geburtstag gekauft hatten. Tom rieb sich den Schlaf aus den Augen, dann kletterte er aus dem Bett. Der Boden war kalt unter seinen nackten Füßen. Vor den Fenstern, von denen sich ihnen ein traumhafter Ausblick auf die Drei- und Viertausender bot, stand Victoria. Er trat hinter sie, legte ihr die Arme um die Hüften und küsste ihre Wange. »Guten Morgen, Süße.«
»Selber morgen.« Sie strahlte, als wollte sie gegen die prächtige Frühlingssonne dort draußen einen Wettbewerb gewinnen. »Ich hab dich ausschlafen lassen. Ich konnte dich wieder hören, letzte Nacht.«
Ah, das alte, das leidige Thema. Diese Sache. Seit drei Jahren die Träume und das Murmeln im Schlaf.
»Was war’s denn?«
»Oh, das konnte ich nicht verstehen. Vielleicht hast du von der netten Kellnerin geträumt, die du an unserem Tisch gestern nicht aus den Augen lassen konntest.« »Nein, Süße, es war der Kellner, das weißt du doch.«
Victoria lächelte, dann drehte sie sich zu ihm herum und das Lächeln verschwand. »Du siehst müde aus.«
»Ja, Mutter.«
»Hör auf damit!« Sie versetzte ihm spielerisch einen Schlag auf den Oberarm. »Es gefällt mir nicht, wie du deinen Gedanken nachhängst. Mir nicht und unserem Sohn auch nicht. Wir fahren in den Urlaub, das hast du gesagt, damit du dich erholen und endlich zur Ruhe kommen kannst. Damit wir ein Familienleben führen können.«
»Wir sind den zweiten Tag hier, Vic.«
»Das spielt doch keine Rolle.« Ihre Stimme war um zwei Tonlagen geklettert, wie immer, wenn da etwas war, was ihrem Sinn für den Stand der Dinge erheblich widersprach, und sie ihren Willen durchsetzen wollte.
Tom sah sie nur an und schüttelte den Kopf. »Nicht.«
»Ja, wir führen diese Diskussion nicht hier, Tom. Nicht, wenn er im Nebenraum ist. Aber ich bitte dich dennoch.« Die Spannung im Körper seiner Frau wich. »Ich will dir helfen. Das ist alles, und das weißt du.«
»Das weiß ich.« Er küsste sich nochmals. »Verschoben, nicht aufgehoben, das verspreche ich dir. Lass uns den See heute anschauen, einverstanden?«
Sie nickte. »Ja, einverstanden.«
Michael kehrte aus dem Nebenraum zurück, und seine Mickey-Mouse-Jacke schleifte über den Boden. Er betrachtete seine Eltern neugierig, und Tom fragte sich, was er gehört hatte, und was sich sein junger Kopf daraus zusammenbasteln würde. »Werden wir die Kühe besuchen, Papa, Küü-he? Muh?«
Tom lächelte. »Die werden wir sehen, kleiner Mann. Kühe, Mickey, Kühe. Das werden wir ganz bestimmt.«
»Jippie!« Und Michael, den sie alle nur Mickey nannten, und der in weniger als fünf Stunden spurlos verschwunden sein würde, stieß die kleine Kinderfaust in die Luft, und damit war die Sache für ihn erledigt.

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26. August 2014

"Buenos Aires [sur]real" von Andreas Dauerer

Geschichten, Erzählungen und Fragmente. Über das Leben, die Liebe und den Tod. Ein Straßenmädchen muss ihren kranken Bruder durch den Wintertag bringen, ein junger Mann tötet aus Versehen einen anderen und versucht das zu vertuschen, eine Mutter vernachlässigt ihr Kind, weil ihr der Alltag keine andere Wahl lässt, ein Mann ertränkt sein Leben und fantasiert mit seiner Tapete – das sind nur vier Geschichten, welche die Stadt Buenos Aires und ihre Bewohner zu erzählen haben.

Dabei haben sie noch jede Menge mehr zu bieten. Grenzen und Realitäten verschwimmen und geben den Blick frei auf das „Andere“... Immer vor der Kulisse der wunderbaren Stadt Buenos Aires.

Gleich lesen: "Buenos Aires [sur]real" von Andreas Dauerer


Leseprobe:
Es war eine erfolgreiche Nacht gewesen. Sie hatte genügend zu essen bekommen, jede Menge Kartons verkauft und seit ein paar Wochen auch ein Plätzchen zum Schlafen gefunden. Nur der Bruder bereitete ihr große Sorgen. In den letzten Tagen konnte sie ihn nicht mit zur Arbeit nehmen. Zu sehr hatte ihm die schwere Grippe zugesetzt. Leider war aber nicht genügend Geld übrig geblieben, um doch noch das eine oder andere Medikament zu kaufen. Und Stehlen?! Das kam für sie nicht in Frage. Nie und nimmer. So etwas tue man nicht. Egal, wie schlimm es um einen auch stehen mag.
Stumm betrachtete sie den kleinen Kerl vor ihr. Ein schönes Kind, dachte sie stumm. Oder besser, er hätte ein schönes Kind sein können. Seine dunklen, dichten Haare hatte er jetzt zwei Wochen schon nicht mehr gewaschen, ebenso wenig den Rest seines Körpers mit Ausnahme von Gesicht und Händen. Normalerweise konnte man das ja ganz gut in den verschiedenen Brunnen machen, die in der ganzen Stadt verstreut waren. Seit es aber jetzt im beginnenden Herbst empfindlich kalt geworden ist, war an eine Ganzkörperwäsche nicht mehr zu denken. Unter seinem schwarzen Wuschelkopf traten die großen braunen Augen hervor. Die hatte ihm todsicher sein Vater vererbt. Sie blitzen immer ganz besonders aufmerksam, wenn er versuchte, die große Schwester nachzuahmen oder das aufzusaugen, was sie ihm für das Leben da draußen beizubringen gedachte. Im rechten Auge hatte er einen winzigen grünen Fleck, den man nur dann genau erkennen konnte, wenn man unmittelbar vor ihm stand und sich wirklich ausschließlich darauf konzentrierte. Der, so schlussfolgerte sie, musste wohl von der Mutter stammen. Die Wimpern waren ziemlich lang für einen Jungen, aber, das musste sie ihm zugestehen, sie standen ihm unverschämt gut. Seine schmale Nase war hübsch anzusehen, aber in seinem kränkelnden Zustand machte sie ihm das Luft holen zu einer kleinen Tortur. Sie vernahm ein leichtes, aber ungemein beruhigend gleichmäßiges Röcheln. Aus seinem leicht geöffneten Mund blitzte einer seiner beiden Schneidezähne hervor. Der anderen war im schummrigen Licht nur zu erahnen, zumal er nicht mehr weiß, sondern dunkel gefärbt war. Bei der Arbeit rutschte er von einem der Kartonlaster herunter und schlug mit voller Wucht kopfüber auf die Laderampe. Immerhin passierte nicht viel mehr als die Sache mit dem Zahn. Die restlichen Teile des Gesichts, und von da an der ganzer Körpers abwärts, waren fest in eine doppelte Schicht alter Decken eingewickelt. Die hatten sie sich auf der Straße zusammengesucht. Als Kopfkissen musste ein alter, zerschlissener Pullover der Schwester herhalten.
Als der Junge bemerkte, dass seine Schwester von der langen Nacht nach Hause gekehrt war, richtete er sich ein klein wenig auf und blinzelte sie schweigend an. Sie nickte nur leicht und er ließ sich erschöpft, aber ungemein beruhigt, in seine Kuhle sinken. Er war noch schwach und brauchte wohl noch zwei, drei Tage Ruhe. Sie deckte ihren Bruder sorgfältig zu und schlüpfte dann selbst unter die Decke, zumindest das, was noch für sie übrig geblieben war. Ganz fest schmiegte sie sich an den ausgemergelten Körper ihres Bruders, um etwas von seiner Wärme abzubekommen. Draußen wurde es jetzt immer heller. Hier im Untergeschoss des Rohbaus war es jedoch angenehm dunkel und sie waren zudem einigermaßen sicher, unentdeckt zu bleiben. An dem Bau wurde eine ganze Weile schon nicht mehr gearbeitet. Wie lange das gut gehen konnte? Sie wusste es selbst nicht. Für den Augenblick allerdings reichte es, um dem Wetter zu entfliehen und sich von den langen Nächten auszuruhen. Während sie noch nachdachte, wie sie vielleicht doch noch ein paar Medikamente für ihren Bruder auftreiben könnte, fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Ohne einen einzigen Traum wurde sie am späten Nachmittag wach. Sie fror. Am Fußende kauerte Pancho, ein kleiner Hund, der sie regelmäßig besuchte. Er wirkte ebenso abgerissen, wie sie selbst. Seinem Bauch nach zu urteilen, hatte er seit Wochen nicht richtig gefressen. Jede Rippe konnte man einzeln abzählen. Wie die beiden, wusste wohl auch er nicht, wohin er gehen soll, wohin er gehört. Sie brach ein Stück von dem alten Kanten Brot ab, den sie in einer kleinen Kiste am Kopfende versteckt hielt. Es war zwar noch essbar, aber schon so hart, dass sie es sich diesmal leisten konnte, wenigstens einen kleinen Teil davon abzugeben.
Das allmählich verschwindende Tageslicht bedeutete ihr wieder aufzubrechen. Sie konnte es sich nicht leisten, die nächtliche Arbeit auch nur einmal sauen zu lassen. Allerdings nicht ohne sich zu vergewissern, dass Ihr Bruder gut zugedeckt weiterschlief. Und auch nicht ohne ihm einen sanften Kuss auf die Wange zu geben. Die Kiste mit dem letzten Brocken Brot schob Sie ihm behutsam unter seine Decke. Dann trat sie in den eisigen, abendlichen Wind hinaus, rannte zwei Quadras hinunter und gelangte in den wohlig-warmen Luftzug des U-Bahneingangs. Hier war es schon eher auszuhalten. Aber sie musste sich beeilen, wenn sie noch einen der guten Plätze unten erwischen wollte. Sie ging die Treppe hinab und erblickte die anderen Kinder, die an den „Bettlerplätzen“ standen und von den Pendlern Geld verlangten. Sie verachtete diese Jungen und Mädchen, weil sie nichts für ihr Geld tun wollten, sondern einfach nur dastanden und die Hand aufhielten. Es war nicht die geringste Spur davon zu erkennen, dass die sich einmal durch Arbeit Geld verdienen wollten. Schlimmer noch: Sie erwarteten nur fürs Rumstehen entlohnt werden. Manchmal versuchten sie gar, noch schäbiger und mitleidiger zu wirken. Dann hatten sie uralte Fetzen an und bespritzten ihr Gesicht mit Staub und Dreck von der Straße. Eine Methode, die allem Anschein nach vor allem bei den Touristen ihre Wirkung nicht verfehlte.
Sie hielt sich nicht länger damit auf, all die Kinder hier zu beurteilen. Sie musste ganz hinunter ans Gleis und ein Stück mit der U-Bahn in Richtung Zentrum fahren. Dort würde sie sich wieder ihrer Gruppe der Cartoneros anschließen. Natürlich hatte sie nicht das Geld für ein Ticket, aber man konnte ja den einen oder anderen Trick anwenden. Während dieser Jahreszeit war man aber gar nicht so sehr auf billige Tricks angewiesen. Das Aufsichtspersonal am Eingang der Stationen hatte wegen dem Wetter – und manchmal auch nur wegen der Kinder selbst – Mitleid; und so wurden sie auch leicht durch die Schranken ans Gleis gelassen. Zwar sollten die Straßenkinder im Normalfall nicht mit der U-Bahn fahren dürfen, aber da sie ohnehin schon spät dran war, würde sie sich heute sicherlich nicht davon abbringen lassen.

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25. August 2014

"Der Fluch von Azincourt" von Peter Urban

Als der französische König den Großmeister des Templerordens Jacques de Molay verhaften lässt, verschwindet ein uraltes Manuskriptes aus dem Orient auf unerklärliche Art und Weise. Einhundert Jahre lang suchte der Orden von Santiago, ein geheimer Bund weiser Männer und Frauen, die über den Grenzen der religiösen Konflikte einer dunklen Zeit stehen, vergeblich nach dem Buch. Dann taucht es unvermutet in den Händen von Nicolas Flamel auf, dem ehrwürdigen Notarius der Pariser Universität. Und plötzlich gehen Gerüchte durch das vom Krieg gegen England erschütterte Frankreich: Meister Flamel hat mit Hilfe seines Grimoarium Blei in Gold verwandelt und den Stein der Weisen geschaffen.

Zwischen dem Orden von Santiago und einem gefährlichen und völlig skrupellosen Sammler magischer und obskurer Handschriften, dem bretonischen Baron Jean de Craon, kommt es zu einem erbitterten Wettlauf um den Besitz des Buches. Diese birgt ausser der Goldmacherei noch grössere und gefährlichere Geheimnisse in sich. Als der leichtgläubige, junge Ritter Claire de Saint Germain im Jahr 1415 in den Wirren um den Fall von Paris das Grimoarium aus der Gruft des zwischenzeitlich verstorbenen Meister Flamel stielt und auf die Festung des berüchtigten Nekromanten und Adepten der Schwarzen Künste, Jean de Craon bringt, beschwört er damit unbewusst eine blutige Fehde herauf. Gemeinsam mit de Craon und dessen Enkelsohn Gilles de Laval macht sich Saint Germain an die Arbeit. Um hinter Flamels Geheimnis zu kommen, scheint jedes Mittel recht. De Craon beschwört die Dämonen, damit sie ihnen helfen das Buch zu entschlüsseln. Doch das Böse verlangt für seine Hilfe nach Blut. Zuerst verschwinden in der Gegend um die Festung von Champtocé Bauernkinder auf mysteriöse Weise. Dann ziehen die teuflischen Praktiken von de Craon und seinem Enkel Gilles de Laval weitere Kreise.

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Leseprobe:
Irgendwo in den Haselsträuchern am Ufer sang eine Lerche. Die Luft war süß und schwer mit dem Geruch von blühendem Holunder. Für einen kurzen Augenblick legte Guy de Chaulliac den Kopf in den Nacken und blinzelte zum Himmel hinauf, der sich im hellsten Frühlingsblau über ihnen wölbte. Er genoss die Wärme der Sonne auf seiner Haut. „Meine Reise war erfolgreich“, sagte er schließlich bedächtig, während sie sich anschickten Seite an Seite den engen Pfad von der Anlegestelle den Hügel hinauf, zu gehen.
Hinter ihnen keuchten zwei Kriegsknechte, denen die undankbare Aufgabe zugefallen war, Chaulliac auf dem Wasserweg von Concarneau bis nach Carnöet zu begleiten. Die Männer schwitzten in ihren schweren Kettenhemden und den doppelt genähten, wattierten Surcotten aus grün gefärbtem Leder. Auf ihren übereinandergelegten Schilden balancierten sie mühselig Guys Gepäck; zwei große, prall gefüllten Satteltaschen und eine solide Holzkiste, in der sich die Werkzeuge seiner Zunft und ein paar Schriftstücke befanden.
„Es tut mir leid“, erwiderte der Herzog von Cornouailles, “der berittene Bote ist schon vor zwei Tagen hier eingetroffen. Mein Hauptmann auf Concarneau ist misstrauisch und argwöhnisch. Er wollte zuerst sicher gehen, dass Du auch willkommen bist. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, Dich schon so kurze Zeit nach unserer letzten Zusammenkunft wiederzusehen. Es wäre einfacher gewesen mir vorab Nachricht aus Paris zu schicken. Du hättest Dir einen weiten und mühsamen Umweg erspart.“
Chaulliac schmunzelte. Dann schüttelte er den Kopf: „Ambrosius, wenn es nur darum gegangen wäre, Dir zu berichten, wie unsere gemeinsame Freundin Valentina ohne große Mühe ihren Gemahl Louis überzeugen konnte. Ein zuverlässiger Mann und ein schnelles Pferd hätten ausgereicht, Dir zu berichten, dass er endlich einsieht, wie vorteilhaft es ist, den Cadwalladr mit Truppen gegen Lancaster zu unterstützen.“
Der Herzog vertrieb mit einer lässigen Handbewegung drei Knaben, die sich ihnen bereits unten am Bootssteg, wie Kletten an die Fersen geheftet hatten. Das heikle Thema der Unterstützung des walisischen Aufstands durch französische Kriegsknechte und Ritter im Beisein seiner beiden Söhne und ihres Freundes zu besprechen, schien ihm wenig weise. Noch bevor sie das erste Sonnwendfeuer entzünden würden, wären schon allerlei haarsträubende Gerüchte auf dem Weg nach Quimperlé, Pont Aven und Rennes und er konnte davon ausgehen, dass bereits vor dem nächsten Neumond einer von Lancasters Spionen an Bord eines Schiffes nach England segelte. Er schmunzelte. Es würde noch ein paar Jahre dauern, bevor er seinen Söhnen oder dem jungen Arzhur in dieser Hinsicht Vertrauen schenken konnte. Für die drei Jungen war das ganze Leben noch Spiel und Abenteuer und sie verstanden kaum, wie wichtig es war, ihre Zungen im Zaum zu halten, wenn sie überleben wollten. Erst als er ganz sicher war, das sich die drei jugendlichen Tunichtgute auch wirklich außer Hörweite befanden, wandte er sich wieder Guy de Chaulliac zu.
Seine Augen hatten einen seltsamen Glanz bekommen: „Sind die Franzosen ebenfalls bereit, die Rechtmäßigkeit des Anspruchs von Owain ap Gruffydd auf die Krone von Wales anzuerkennen“, fragte er skeptisch.
Chaulliac verzog die dünnen Lippen zu einem zynischen Lächeln: „Mesire Louis d'Orléans hat nicht lange gezögert, bevor er Dein Angebot annahm. Die Kassen seines Bruders sind leer. Ich nehme an, dass Iolo Goch, Owain Glendowers Barde bereits morgen früh zur ersten Stunde aufbrechen wird, um seinem Herren in Sycharth Castle die gute Nachricht zu überbringen. Ihr steht jetzt nicht mehr alleine gegen den englischen Thronräuber und seine Schergen…“, er hielt inne. Dann deutete der Okzitanier kurz mit dem Kopf in Richtung auf die drei Knaben. Sie waren zwischenzeitlich zurück zum Fluss gerannt und hatten ihre völlig verdreckten Kniehosen abgestreift, um sich nackt, wie am Tage ihrer Geburt mit lautem Jauchzen und Gejohle in die kalten Wasser zu stürzen.
„Der stämmige, breitschultrige Bursche mit den strohblonden Haaren. Das ist doch der jüngste Bruder von Yann de Montforzh, nicht wahr?“
Ambrosius schmunzelte: „Arzhur! Ja! Es tut dem Jungen gut, die schwere Zeit zu vergessen, die sie alle hinter sich haben.“
„Ich habe bei Hof zu Paris das Gerücht aufgeschnappt, dass Yann endgültig mit Olivier de Clisson gebrochen und dem Cadwalladr ebenfalls Truppen versprochen hat.“
Das sonnengebräunte, scharf geschnittene Gesicht des Herzogs von Cornouailles verzog sich zu einem hinterlistigen Grinsen, das seinen Zügen nicht besonders schmeichelte. Er ähnelte mehr denn je einem hungrigen Raubvogel. Doch er fasste sich sofort wieder und wurde ernst und geschäftsmäßig: „Genug von diesem heiklen Thema, Guy“, flüsterte er mit einer leichten Kopfbewegung in Richtung auf die Männer, die weiter hinter ihnen den Hang hinauf ächzten, „doch wenn Louis d’Orléans nicht der Grund ist. Du hast diesen weiten Weg aus der französischen Hauptstadt doch gewiss nicht nur deswegen auf Dich genommen, um mit einem alten Freund gemütlich bei einem Glas Rotwein zu plaudern. Was führt Dich wirklich nach Cornouailles?“

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20. August 2014

"Wulfheart - Aufbruch in eine neue Welt" von Daniel T. Ritter

Ein gesellschaftskritischer, postapokalyptischer "Mittelalter"- Roman. Die Buchserie "Wulfheart" entfaltet eine düster wirkende Zukunftsvision, die bewusst nicht immer politisch korrekt ist. Zu Beginn der Geschichte wird erwähnt, dass ein mysteriöses Ereignis sämtliche Technik der Welt zerstörte und dabei fast die gesamte Menschheit vernichtete. Die Handlung beginnt allerdings erst fünfhundert Jahre später. Obwohl es die Zukunft ist, gleicht die Welt eher dem Mittelalter.

Sie ist rau, kalt und ein wenig merkwürdig zugleich. Eines Tages wird ein "Zauberding" der Alten Welt gefunden und verändert schlagartig das Leben von Alfric Wulfheart, einem einfachen Gehilfen der großen Akademie.

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Leseprobe:
Eines Abends arbeitete ich wieder an Dunyens „selbstfahrender Kutsche“. Es war schon spät geworden und ich blieb mal wieder alleine in der Werkstatt zurück. Unbedingt wollte ich diese Kutsche reparieren und meine mittlerweile lästige Aufgabe erfüllen. Durch die vielen Abende zuvor, die ich unentwegt in der Werkstatt verbracht hatte, war ich schon sehr müde geworden. Und so geschah es, dass ich unter dieser Eisenkutsche mit dem Werkzeug in meiner rechten Hand einschlief. Im Traum erschien mir wieder die schöne Raya, jenes schöne Weibe, welches ich einige Abende zuvor kennen gelernt hatte. Wir lagen gemeinsam Hand in Hand in einem weißen Bett, das komplett aus weißen Federn bestand. Wir beide waren vollkommen nackt. Ich strich ihr über ihr engelgleiches Gesicht mit ihren strahlenden grünen Augen und freute mich schon auf unser baldiges Liebesspiel, als ein helles weißes Licht die gesamte Szenerie überstrahlte. Ich wachte aus diesem wunderschönen Traum auf und erschrak, als ich feststellte, dass dieses Licht leider kein Traum war. Das helle Licht traf auf die mir gegenüberliegende Wand und es waren ungewöhnliche Bilder darauf zu erkennen. Bilder von gigantischen Wäldern, scheinbar endlosen Bergen und von einer Fülle mir unbekannter Tiere. Als Nächstes sah ich wunderschöne Bilder alter zugewachsener Tempel und Ruinen. Eine große Pyramide umgeben von einer Wüste stach dabei besonders heraus. War dies etwa doch ein Traum?
Ich beschloss der Ursache dieses Lichtes auf den Grund zu gehen und kroch unter der Eisenkutsche hervor. Schnell sah ich die Ursache dieses ungewöhnlichen Lichtes. Es war dieser schwarze sonderbare Spiegel den Dunyen von seiner Reise mitgebracht hatte. Als ich mich dem Spiegel näherte, erlosch das helle Licht wieder so rasch, wie es auch gekommen war. Auf dem schwarzen Spiegel waren wieder nur die Worte „Bitte Warten“ zu erkennen. Was ging hier nur vor? Ich musste das schnell Dunyen melden. Doch als ich gerade den Raum verlassen wollte um meinen Meister Dunyen zu holen, erschien wie aus dem Nichts abermals dieses Licht. Dieses Mal aber waren es ganz andere Bilder, die auf der Wand zu erkennen waren. Ich sah nun Bilder toter abgeholzter Wälder und verseuchter Gewässer. Kein einziges Tier war darin zu erkennen. Als Nächstes sah ich statt der schönen Tempel, ein Meer aus grauen Türmen, die in der Bauweise dem Königsturm sehr ähnlich waren. Wie Flüsse zogen sich Schlangen von abertausenden Eisenkutschen durch die Lande. Die Luft glich eher einem grauen Nebel. War dies etwa die Welt der Alten? Abermals wechselte das Thema der Bilder. Nun schien es so als würden diese Bilder direkt von einem Menschen kommen. Ein alter Mann, dessen Gesicht von Falten durchzogen schien, schaute sich darauf nachdenklich in einem Spiegel an. Plötzlich drang eine Stimme aus der seltsamen Apparatur, die mitten in der Werkstatt stand. Ich war wie erstarrt und lauschte gebannt dieser Stimme.
„Das hier war meine Welt. Meine Geschichte begann an einem wohl ungewöhnlichen Ort, einem Altersheim. Ich war nun 85 Jahre alt und hatte ein bewegtes Leben hinter mir. Die Welt, die ich kannte, hatte sich in dieser Zeit rasend schnell verändert, leider nicht immer zum Guten. Der Mensch griff immer wieder in die Natur ein und vernichtete so ganze Landstriche. Viele Tierarten, die ich aus meiner Jugend kannte, konnte man jetzt nur noch in Zoos bestaunen. Nur dort lebten noch Klone dieser einst prächtigen Geschöpfe. Die großen Wirtschaftskrisen, die in dieser Zeit herrschten, ließen ganze Länder „ausbluten“. Die Schuldigen an diesen Krisen waren in Wahrheit aber nicht die einzelnen Nationen und deren Bewohner. Ein Konsortium aus Banken, Firmen und Geheimgruppierungen stand hinter dem ganzen Übel. Mit schlauen und illegalen Methoden manipulierten sie geschickt Zentralbanken, Politiker und zu guter Letzt ganze Nationen. Diese Tatsache wurde zu dieser Zeit durch die Medien massenwirksam vertuscht. Letztendlich gelang es diesem Konsortium die Macht in den meisten bekannten Staaten zu übernehmen. Diese Regierungen waren jetzt nur noch „Schattenländer“. Alle führenden Politiker wurden dabei durch willenlose Marionetten ersetzt. Unter vorgeschobenen Gründen der Sicherheit, um die Bürger vor „Terroristen“ zu schützen führten die Politiker dieser Länder neue, noch nie dar gewesene Überwachungsgesetze ein. Jeder Bürger wurde nun von jetzt an zu seiner Sicherheit flächendeckend überwacht. Ich lebte in dieser Zeit in einem dieser „Schattenländer“, dessen Namen „Deutschland“ war. Natürlich formierte sich dagegen zunächst Wiederstand. Demonstrationen wütender Bürger füllten die Straßen vieler Städte. Auch ich schloss mich eines Tages einer solchen Demo an. Doch es war bereits zu spät. Jeder Widerstand und jede Demonstration wurde gewaltsam durch die Armee aufgelöst. Zum Schutz der Bürger wurde jede Form von Versammlungen und Demonstrationen unter harten Strafen verboten. Selbst einige Nationen stellten sich dem Konsortium entgegen und verbannten daraufhin sämtliche westliche internationale Unternehmen aus ihren Ländern. Das Konsortium sah dadurch ihre Pläne in Gefahr und bezeichnete daraufhin diese Nationen als „Terrorländer“ Diese wurden dann unter fadenscheinigen Gründen von den Schattenländer angegriffen. So kam es 2036 zu den sogenannten „blutigen Wirtschaftskriegen“, bei dem hunderttausende junger Soldaten sinnlos ihr Leben ließen. 2046 endete dieser Krieg. Das Konsortium hatte gewonnen. Das wichtigste und das einzig bestimmende Element in unserer Gesellschaft war ab dem Tage als das Konsortium die weltweite Herrschaft übernahm nur noch der alles verschlingende Konsum. Jedem Bewohner dieser Schattenländer wurde schon bei seiner Geburt ein Chip implantiert, auf dem seine sogenannte Konsumentennummer gespeichert war. Über diese Nummer konnten die Firmen jeden Menschen flächendeckend überwachen und dessen Vorlieben und Abneigungen ausspionieren. Auch konnte das Konsortium der Firmen so schnell Widerstandsbewegungen schon bereits im Keim ersticken. Heute gibt es keine Regierungen mehr. Die unendliche Gier der Konzerne fegte alle Ländergrenzen hinweg. Heute gibt es keine Bürger mehr. Jeder Mensch ist nur noch ein Konsument, welchen einzige Aufgabe das immerwährende Konsumieren ist. Alles gehört nun den Konzernen.

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Mehr über und von Daniel T. Ritter auf seiner Website zur Buchserie.

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14. August 2014

"Die Jägerin (Die Anfänge 1)" von Nadja Losbohm

Auftakt einer Fantasy-Romance-Reihe. Ada Pearce ist eine normale junge Frau. Kurz nach ihrem 21. Geburtstag klärt sie ein mysteriöser Priester über ihr Schicksal als Jägerin auf. Ada glaubt der Geschichte zunächst nicht, doch als sie erfährt, welche Gefahren durch die unterschiedlichen Kreaturen der Nacht drohen, nimmt sie ihr Schicksal an, gibt ihr altes Leben auf und zieht in die geheimen Räumlichkeiten unter der St. Mary’s Kirche, die dort vor Jahrhunderten angelegt worden waren, ein und beginnt ihre Ausbildung …

In Rückblenden erzählt die Protagonistin selbst ihre Geschichte. Angefangen bei der ersten Begegnung mit dem geheimnisvollen und unnahbaren Priester, über die einjährige Ausbildung und das Leben im Geheimen, über ihre erste Jagd und die Probleme, die es mit sich bringt, wenn ein Priester und eine Frau auf engstem Raum zusammenleben.

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Leseprobe:
Schon den ganzen Tag war ich wegen meiner ersten Patrouille aufgekratzt und konnte es kaum erwarten endlich loszuziehen. Ich war total gespannt, wie es sein würde. Fröhlich wollte ich zur Kirche hinausstürmen, doch plötzlich hielt mich Pater Michael am Arm fest. Ich wirbelte auf meinem Absatz herum und prallte gegen seine Brust. Verblüfft starrte ich ihn an. Es war deutlich zu sehen, dass er mein Verhalten missbilligte. „Bevor Sie hier chaotisch hinausrennen…“, meinte er, und ich verdrehte die Augen. Musste er denn immer gleich so übertreiben? „…muss ich das Ritual durchführen, Miss Ada.“ Ich konnte ihn nur anstarren. „Ich glaube, ich habe mich verhört. Haben Sie tatsächlich „Ritual“ gesagt?“, hakte ich ungläubig nach.
Mit ernster Miene nickte er. „Ohne das Ritual gehen Sie nicht durch dieses Portal“, antwortete er und deutete auf die geschlossene Kirchentür.
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Natürlich entging es Pater Michaels Adleraugen nicht, und er ermahnte mich sofort. „Sie sollten nicht über etwas lachen, das Ihnen das Leben retten kann. Unterschätzen Sie niemals die Macht solcher Dinge und schon gar nicht die Kraft des Herrn. Ganz besonders in Anbetracht der Tatsache, dass vor Ihnen jemand steht, der durch seine Macht älter ist, als Sie es sich vorstellen können. Zeigen Sie ein bisschen mehr Respekt davor!“
Beschwichtigend hob ich die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich sag ja schon gar nichts mehr“, erwiderte ich und gab mich seinem überzeugenden Argument geschlagen. Zufrieden nickte er.
Seine Hände packten mich plötzlich grob an den Schultern, bugsierten mich zum Altar, und ich fand mich direkt vor dem goldenen Kreuz stehend wieder. Die Augen von Jesus Christus, dessen Gemälde an der Wand hing, schauten wachsam auf mich hinab. Es kam mir vor, als würden sie mich prüfen, ob ich auch wirklich die Richtige für diesen Job war. Von irgendwoher zauberte Pater Michael einen Weihrauchschwenker hervor. Das Messing glänzte und strahlte vor Reinheit und blaue und rote Juwelen funkelten hier und da auf. Die Kette, an der das Gefäß hing, klirrte leise in den Händen des Paters, als er sie entrollte. Dann begann er damit, um mich herumzulaufen. Weiße Wölkchen, die aus den sternenförmigen Öffnungen in dem Schwenker entwichen, umhüllten mich wie eine Nebelbank auf hoher See. „Wahrscheinlich werde ich bald high sein von dem Kraut“, schoss es mir durch den Kopf, und ich musste mir auf die Wangen beißen, um nicht zu lachen.
Die Stimme des Paters erklang in einem tiefen Timbre, das ich bei ihm noch nie gehört hatte. Ich war mir nicht sicher, ob es an der lateinischen Sprache lag, die ich nicht verstand, oder an dem Singsang, in den er verfallen war. Hätte ich als Außenstehender diese Szene beobachtet, hätte ich wohl darüber gekichert. Aber als ich dort stand und die alte Sprache an meine Ohren drang, lief mir ein Schauer über den Rücken und eine merkwürdige Rührung ergriff mich. Es war mystisch und der feierlichste Moment, den ich je erlebt hatte.
Als er mich mehrmals umrundet und mit Weihrauch vollgequalmt hatte, wandte sich Pater Michael zum Altar um und kniete davor nieder. Mit geschlossenen Augen senkte er den Kopf und bekreuzigte sich. Dann erhob er sich und drehte sich wieder zu mir. „Jetzt sind Sie bereit“, verkündete er und ließ die Schlüssel zur Kirche in meine Hände gleiten. Nun war ich endgültig in den Kreis der Wissenden aufgenommen worden.

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13. August 2014

"Wie ein Rohr im Wind" von Heidrun Böhm

In ihrer Novelle beschreibt Heidrun Böhm die problematische Beziehung zu ihrem depressiven und selbstmordgefährdeten Freund Bernd und damit ihre Gefühle und die ständige Verlustangst.

Die Autorin zu ihrem Buch: "Das Erlebnis, das ich hier schildere, ist durch und durch authentisch. Es fiel mir schwer, dieses Manuskript zu bearbeiten. Nahezu zwanzig Jahre sind seit diesem Ereignis ins Land gegangen. Nun habe ich mich entschlossen, es der Öffentlichkeit vorzustellen."

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Leseprobe:
Lieber Bernd,
Seit deinem Tod sind viele Jahre vergangen. Heute denke ich an dich wie an einen guten Freund, den man irgendwann verloren hat. Doch an den Abend, an dem wir das letzte Mal Hand in Hand durch deine Heimatstadt gingen, erinnere ich mich deutlich. Du hast dich von deiner Stadt verabschiedet, alte bekannte Plätze aufgesucht. Nur du wusstest, es sind die letzten Stunden, die wir miteinander erleben. Du hattest deinen Tod geplant. Die Worte, die du mir zum Abschied sagtest, werde ich nicht vergessen: »Ich mag dich sehr, aber ich kann nicht bei dir bleiben. Du wirst einen Mann finden, der mit dir harmoniert, aber es wird nicht leicht sein, denn du bist eine außergewöhnliche Frau.«

An einem sonnendurchfluteten Tag im Mai lernte ich Bernd bei einem Grillfest kennen. Es war ein geplantes Durcheinander, organisiert von einer kleinen Anzahl alleinerziehender Frauen, die sich regelmäßig in der Diakonie unseres Städtchens trafen. Ich war geschieden, hatte zwei Kinder, und versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen. Bekam Angst vor übermächtigen Gefühlen. Angst vor einer neuen Beziehung.
Bernds große blaue Augen musterten mich neugierig. Und ich ertappte mich bei dem Wunsch, allein mit ihm zu sein, um ihn besser kennenzulernen.
Am Abend trafen wir uns mit unseren Freunden in einer Wirtschaft. Bernd redete viel über sich. Ich saß schweigend daneben und hörte zu: »Heute bin ich wieder fünf Kilometer durch den Wald gelaufen. Zweimal war ich in dieser Woche beim Tischtennis. Meine Kondition ist zurzeit recht gut. Ein Mann muss fit sein, die Frauen verlangen viel. Vor allen Dingen im Bett. Wenn es dort nicht mehr klappt, ist Mann doch gleich unten durch. Kondition muss man haben. In jeder Beziehung.« Bernd bestellte sich das dritte Weizenbier und rauchte die zehnte Zigarette. »Wenn ich Bier trinke, siehst du mich kritisch an«, sagte er dann. »Würdest du mich akzeptieren, wenn ich Apfelsaft trinke? Aber ich werde mich deswegen nicht ändern«, ergänzte er, ohne meine Antwort abzuwarten.
»Bleib so, wie du bist, ich habe nicht die Absicht, dir Vorschriften zu machen«, entgegnete ich schroff. Er schien nicht anders als andere Männer zu sein. Erst anmachen, dann aufreißen.
»Ja, ich gebe zu, dass ich sehr gerne Bier trinke. Meinst du nicht, ich sollte mehr für meine Figur tun? Frauen haben ein Recht darauf, einen gut aussehenden Mann zu bekommen. Nun gut, Partnerschaft ist nicht alles im Leben. Doch ich überlege mir, mit wem ich alt werden möchte. Ich suche eine Frau, die nicht nur in guten Zeiten zu mir steht. Warum suchst du dir keinen Partner? Vergiss, was früher war. Du solltest du dir eine neue Ebene schaffen, um eine Partnerschaft zu beginnen.«
»Soweit bin ich noch nicht«, antwortete ich. Doch ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Es war ihm gelungen, mich zu irritieren.
»Du bist noch nicht so weit? Denk an das Schöne und beginne wieder von vorne!«
»Ich gehe nach Hause«, sagte ich, trank mein Glas leer und bezahlte. Ich wollte alleine sein und über Bernds Verhalten nachdenken. Es verwirrte mich. Seine großen blauen Augen, in denen sich der ganze Schmerz der Welt widerzuspiegeln schien, sprachen eine andere Sprache als sein Mund.
»Bisweilen leide ich unter Depressionen, aber ich nehme Tabletten, die mir helfen«, hatte er mir beim Grillfest gesagt. Offenbar hatte er das in der Zwischenzeit vergessen und gab sich nun wie ein Gigolo. »Ich kann alleine nach Hause gehen«, sagte ich energisch, stand auf und griff nach meiner Jacke.
»Du bist für mich unerreichbar wie der Mount Everest! Mit dir zu reden nützt nichts. Doch ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht bei dir wäre. Selbstverständlich begleite ich dich nach Hause«, trompetete Bernd laut. Er stand auf, bezahlte die Zeche und half mir in die Jacke.

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11. August 2014

'Der Mann im Spiegel' von Christian Zeitmann

Ein rasanter Thriller. Ein Mann auf der Suche nach seiner Erinnerung, angetrieben von dem Drang nach Vergeltung. Doch was passiert, wenn die Erinnerung die Grenze zwischen Zorn und Wahnsinn Stück für Stück fallen lässt? Merten Brand, begeisterter Surfer und angehender Manager, befindet sich mit seinem Jugendfreund auf einem Urlaubstrip in Frankreich, als sein Leben von einer auf die andere Sekunde aus den Angeln gehoben wird.

In der Schusslinie einer verbrecherischen Organisation muss er schnell feststellen, dass es schlimmere Dinge gibt als den Tod. Scheinbar auf sich allein gestellt, wird er zum Spielball zwischen Verbrechen, Korruption und Besessenheit …

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Leseprobe:
Lacanau, 1999 - Meine Muskeln brannten. Von der Fußspitze bis zum Hals. Es war dieses wohlige Kribbeln nach einer körperlichen Anstrengung, dem Moment, wenn der Körper seinen ureigenen Hormoncocktail mischt. Oliver hatte sein Material längst verstaut und ich sah an seiner Körperhaltung, was er nicht aussprechen würde. Wo bleibst du? Morgen ist das Meer auch noch da.
Eine Haarsträhne rutschte mir über die Augen und nahm mir kurzzeitig die Sicht. Die letzte Böe hatte die Dreistigkeit besessen, mein Haargummi vom Kopf zu pflücken. Über mir spannte sich ein schmutzig grauer Himmel, unter dem mindestens acht Windstärken vorbeirauschten. Hinter mir tummelte sich ein buntes Meer aus Segeln. Vor mir erstreckten sich sanft geschwungene Dünen wie die Höcker schlafender Kamele.
»Du bekommst die Schnauze nicht voll, oder?« Oliver hatte seine Wortkargheit für diesen Tag offenbar aufgegeben.
»Wir sind zum Surfen hier«, entgegnete ich. »Wer weiß, was Petrus morgen auf seinem Masterplan stehen hat.«
Oliver hob die Augenbrauen und griff nach meinem Segel. »Ich warte seit mindestens zwanzig Minuten auf dich. Ich frier mir hier echt den Arsch ab!«
»Hang Loose, mein Freund. Wir hatten heute perfekte Windverhältnisse.« Gemeinsam falteten wir das Segel und mussten dabei einige Rückschläge hinnehmen. Der Wind machte es uns nicht gerade einfach.
»Du bist manchmal der perfekte Spinner.«
So gefiel mir Oliver schon wieder besser.
»Du hast die Party also tatsächlich klargemacht?« Die Haarsträhne flatterte vor meinen Augen. Oliver war größer und breiter als ich. Mit seinen blonden, dicken Haaren konnte er glatt als Bruder von Robby Naish durchgehen.
»Ich hab’s versprochen. Wir werden heute an einer exquisiten Adresse erwartet.« Er zwinkerte mir vielversprechend zu.
»Hört sich hervorragend an.«
Oliver war mehr als ein Freund. Er war ein Bruder. Ein Surfbruder und ein Bruder im eigentlichen Sinne. Wir waren zusammen aufgewachsen und hatten mit demselben goldenen Löffel unseren Brei gegessen. Für die meisten waren wir soziale Randgestalten, die nur mit der Hand in Papas Tasche geradeaus laufen konnten. Doch wir gaben beide einen Dreck auf die Ansichten der Leute. Olivers Familie besaß ein Privatvermögen von circa vierunddreißig Millionen Euro. Sein Vater war CEO der Farber Papers KG. Zigarettenpapier war sein Geschäft und sollte es auch bald für uns sein.
Meine Eltern schafften es nur auf vier Millionen. Aber es reichte, um uns als neureiche Idioten abzustempeln, die das Leben nicht als Geschenk, sondern als Selbstbedienungsladen betrachteten.
Wir beide gönnten uns die Auszeit vor den ermüdenden Monaten, in denen man aus uns Manager formen würde. Zigarettenpapier brachte noch immer Geld ein. Nach offiziellen Studien ging die Zahl der Raucher zurück. Betrachtete man jedoch das wachsende Vermögen der Farber Familie, wäre es angebracht gewesen, die beauftragten Konsumforscher zu feuern.
Oliver war Einzelkind. Aber er hatte mich. Die Idee, alle namhaften Strände rund um Europa und Afrika abzuklappern und unser Board mit den verschiedenen Wellen bekannt zu machen, kam von mir.
Oliver brauchte nur drei Tage, um seinen Vater von der Idee zu überzeugen. Sein alter Herr, der große Pläne mit uns in seiner Firma hatte, stimmte zu. Er war sogar davon überzeugt, dass wir die Energie in den folgenden Monaten sehr gut brauchen würden. Er wollte Oliver für das Auslandsgeschäft und mich in der Marketingabteilung. Auf diese Weise seien unsere Talente gut angelegt, sagte er.

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5. August 2014

"Träum weiter, Julia" von Annegret Heinold

13 Geschichten aus einem Gästehaus an der Costa Azul, der Westküste von Südportugal. Erzählt werden die Geschichten von Rita Ribeiro, dem Zimmermädchen, von dem einige meinen, es sei viel zu klug für ein Zimmermädchen. Ritas Einsatz ist ständig gefragt. Ob es darum geht, die richtige Frau für den Gast aus Zimmer zwei auszusuchen, einen Einbrecher zu fangen, oder eine unglückliche Malerin vom Selbstmord abzuhalten, immer findet Rita doch noch eine Lösung. Und wem das Leben so viel bietet, der lernt eben ständig dazu. Und außerdem - wer sagt eigentlich, dass Zimmermädchen doof sein müssen? Na also!

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Leseprobe aus "Unsere Bonnie":
Sie kennen ja Bonnie. Bonnie klaut manchmal. Sonst ist sie ein süßer Hund, ein Irish Setter, lieb und gutmütig, nett zu Kindern und bellt nicht. Und normalerweise ist das mit dem Klauen auch kein wirkliches Problem. Bonnie klaut. Der Gast beschwert sich und Ulla und Gerda ersetzen den Schaden.
Damit ist das Problem aus der Welt geschafft.
Aber bei diesem Manolo-Blahnik-Schuh würde das vermutlich nicht so einfach gehen. Oder doch zumindest reichlich teuer werden. Ich hatte den Schuh auf dem Rasen gefunden. Bonnie saß daneben, sich keiner Schuld bewußt. Ich kannte diese Art Schuhe bisher nur vom Hörensagen und aus dem Fernsehen.
Manolo Blahniks sind zweifelsohne kleine Meisterwerke und es gibt bestimmt auch Frauen, die darin laufen können. Ich gehöre nicht gerade dazu und Ulla und Gerda haben auch eher was Bequemes an. Aber die Frau aus Zimmer neun zum Beispiel war so eine Frau. Wie gesagt, man konnte vermutlich in diesen Schuhe laufen, solange es sich um glatte Böden und kurze Strecken handelte. Für Marathonläufe oder als Hundespielzeug waren diese Sandalen nicht stabil genug. Ich hielt den Schuh hoch und sah ihn mir genauer an.
Was für Absätze! Und diese Riemchen! Vermutlich waren alle diese Riemchen irgendwo an der Sohle befestigt gewesen, ehe Bonnie mit dem Schuh gespielt hatte, aber so richtig konnte man das jetzt nicht mehr erkennen. Und ich hoffte, die Diamanten waren nicht echt, denn es schienen nicht mehr alle da zu sein. Ich sah auf das Gras, ob da irgendwas funkelte.
„Das wird Sie teuer zu stehen kommen”, sagte eine Frauenstimme.
Die Frau aus Zimmer neun. Seidentop, Leinenhose, barfuß. Mit einem Schuh in der Hand. Das Gegenstück zu dem Schuh, den ich in der Hand hielt. In heil.
„Ich bin nur das Zimmermädchen”, sagte ich.
„Na, dann holen Sie mir mal den Besitzer”, sagte die Frau.
Arme Ulla und Gerda. Ich ging zu ihrer Tür und klopfte. Ich hatte immer noch den Schuh in der Hand. Ulla öffnete und ich sagte: „Der Gast aus Zimmer neun möchte Sie sprechen.”
Ulla sah den Schuh in meiner Hand, Bonnie auf dem Rasen und die Frau mit einem Schuh in der Hand vor Zimmer neun und ich brauchte nichts weiter zu erklären.
Ulla setzte ein freundliches Lächeln auf und ging zu der Frau.
„Ja,” sagte sie. „Sie möchten mich sprechen?”
„Ihr Hund hat meinen Schuh zerstört”, sagte die Frau.
„Ja”, sagte Ulla. „Geben Sie mir den Schuh und ich sehe, was ich tun kann.”
Das war natürlich eindeutig eine Taktik, um Zeit zu gewinnen. Jeder konnte sehen, dass dieser Schuh jenseits jeder Rettung war. Das wußte die Frau auch. Das mußte sie wissen. Daher vermutlich das süffisante Lächeln, als sie Ulla den zweiten Schuh gab und sagte: „Damit Sie wissen, wie der Schuh vorher ausgesehen hat.”
Ulla nahm den Schuh. Souverän, fand ich.
„Der Hund ist in Ihr Zimmer gegangen und hat den Schuh rausgeholt?”, fragte Ulla.
„Nein”, sagte die Frau. „Die Schuhe standen vor dem Zimmer.”
„Ja, aber warum?”, sagte Ulla, „Warum stellen Sie denn die Schuhe vor das Zimmer?”
„Damit sie geputzt werden”, sagte die Frau. „Das ist in jedem anständigen Hotel so.”
„Das ist hier kein anstän…”, begann Ulla und brach den Satz zum Glück rechtzeitig ab. Ich warf noch einen Blick auf die Schuhe. Mit was sollte man das putzen? Mit einer Miniaturzahnbürste? Oder gab es dafür Spezialbürsten? Und was machte man mit den hoffentlich falschen Diamenten? Polieren?
„Heute abend gehe ich aus”, sagte die Frau. „Ich habe ein Rendevouz, oder genauer: ich habe DAS Rendevous überhaupt und bis dahin brauche ich die Schuhe. Ist das klar?”
„Sehr klar”, sagte Ulla, ohne die Miene zu verziehen.
„Wenn nicht, sehe ich mich leider gezwungen, Sie zu verklagen”, sagte die Frau. „Und Sie wissen ja, was das heutzutage bedeutet. Denken Sie an den Richter und die verschwundene Hose in der Reinigung.”
„Das war in den USA”, sagte Ulla. „Hier sind die Gesetze anders.”
„Fünfundneunzig Millionen Dollar Schadensersatz”, sagte die Frau. „Nur damit Sie mal sehen, was so was heutzutage kostet.”
„Ja, aber das war völlig absurd”, sagte ich.
„Halten Sie sich da raus”, sagte die Frau. „Sie sind nur das Zimmermädchen.”
Ulla und ich sagten nichts. Bonnie kam und setzte sich neben uns und sah zu uns hoch und wir konnten ihre spitzen kleinen Zähnchen sehen, mit denen sie den Schaden angerichtet hatte. Unsere Boneca. Unsere kleine Bonnie ohne Clyde, den brauchte sie nämlich gar nicht, sie schaffte das alles alleine.
„Ich zahle den Schaden”, sagte Ulla. „Sagen Sie mir, was die Schuhe kosten und Sie bekommen das Geld.”
„Es geht nicht ums Geld”, sagte die Frau. „Ich will diese Schuhe. Und zwar heute. Und zwar genau um achtzehn Uhr dreißig. Oder Sie haben eine Klage am Hals. Und bis dahin brauche ich natürlich ein paar Ersatzschuhe.”
„Sie werden doch wohl ein zweites Paar Schuhe mithaben”, sagte Ulla.
„Nein”, sagte die Frau. „Ich habe dieses Paar Schuhe und sonst nichts. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die haufenweise minderwertige China-Ware kaufen. Wenn ich mir was kaufe, dann nur allerbeste Qualität. Qualität statt Quantität.”
„Welche Größe”, fragte Ulla.
„Neununddreißig”, sagte die Frau.
Ulla ging zu ihrem Zimmer und kam nach ein paar Minuten zurück. In der Hand hielt sie ein paar Gartenschuhe. Diese Gummi-Gartenschuhe, die wie abgeschnittene Gummistiefel aussahen. In einem aggressiven Rot.

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4. August 2014

"Der Begleiter: Eine Welt hinter dem Alltag" von Bernhard Hoffmann

Ein Journalist kommt im Rahmen seiner Tätigkeit in eine Kleinstadt. Er findet heraus, dass es hier einen Hund geben soll, der niemandem gehört und der ab und zu in der Stadt auftaucht. Wenn er das tut, dann sucht er sich einen ganz bestimmten Menschen aus und wohnt eine Zeit lang bei ihm. In dieser Zeit verändert sich das Leben des Betreffenden auf stille, aber entscheidende Art und Weise.

Der Journalist bekommt eine Liste von all jenen Menschen, wo der Hund schon gewohnt hat und hört sich die Geschichten der Menschen an - und macht sich auch auf die Suche nach diesem mysteriösen vierbeinigen Begleiter ...

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Leseprobe:
Ich stellte meinen Wagen an jener Stelle ab, die mutige Bürger wahrscheinlich mit „Downtown“ bezeichnet hätten. Ich wollte noch einige Lebensmittel kaufen und betrat den kleinen, typisch amerikanischen Supermarkt. Neben Obst und einigen Nüssen suchte ich nach einer Landkarte, um mich orientieren zu können.
Als ich in der Warteschlange zur Kassa stand, hörte ich hinter mir einen älteren Mann in sein Mobiltelefon sprechen. „Ja, Erica, ich hab auch … Ja, das auch. Nein, ich komme gleich nach Hause, keine Sorge! Nein, ich … Du weißt, dass ich tagsüber nicht trinke!“ Als er seufzend auflegte, drehte ich mich um und lächelte.
Der Mann – er war so um die 50 und hatte eine dünne Metallbrille – sah mich an und lächelte verunsichert. „Meine Frau … Sie glaubt immer, dass ich nach dem Einkauf noch auf ein Bier gehe!“ Seine Stimme verriet, dass er allein den Gedanken für einen Frevel hielt. Dann aber beugte er sich schnell vor und hielt eine Hand an seinen Kopf, als ob er mir ein großes Geheimnis erzählen müsste. „Na ja …“, er grinste, „so ganz unrecht hat sie da nicht!“ Er richtete sich wieder auf und sah schmunzelnd zu mir.
Ich lächelte, drehte mich um und merkte, dass mich die Kassierin wartend ansah. Ich legte meine Waren auf das Förderband und fragte: „Haben Sie auch eine Landkarte von der Umgebung hier?“ Sie nickte und deutete auf einen Ständer, auf dem Postkarten, Landkarten der Umgebung und auch Stadtpläne ausgestellt waren. Ich nahm einen Umgebungsplan und legte ihn dazu.
Als ich zahlte, fragte ich sie: „Sagen Sie, haben Sie von der Rettung dieses Typen aus Portland gehört?“
Sie hielt inne und sah mich an. „Der reiche Typ, der sich im Wald verlaufen hat? Klar! Das war nur ein paar Häuser neben uns! Da ist er rausgekommen!“
Ich lächelte und stellte mir vor, dass wohl an vielen Stellen in Cranton „gleich neben uns“ sein würde, so klein wie die Stadt war. Ich nickte, packte meine Sachen ein und wollte schon weitergehen, als ich mich nochmals umdrehte. „Und stimmt es, dass ihn ein Hund gerettet hat?“
Ich weiß nicht genau, ob es an meinem Tonfall gelegen hatte, aber plötzlich hörten alle Gespräche auf und die Menschen sahen mich an. Ich war unangenehm berührt, sah unsicher herum, um mich dann wieder an die Kassierin zu wenden.
Sie drehte den Kopf etwas, sah mich eindringlich an. „Ach so? Woher wissen Sie denn das?“
Das „Sie“ war betont, und ich machte das, womit ich immer gute Erfahrungen gemacht hatte: Ich sagte die Wahrheit. „Ich habe mit ihm gesprochen, er meinte, ein Hund hätte ihn aus dem Wald geführt.“ Jetzt war mir die Aufmerksamkeit aller Mitarbeiter und Kunden gewiss.
Die Kassierin beobachtete mich aufmerksam. „Und … Sie sind?“
Ich lächelte und stellte mich vor. „Ich komme aus Portland, Oregon und arbeite für die Portland Tribune, ich würde gerne wissen, ob das stimmt. Und falls ja, würde ich gerne ein Foto des tierischen Retters machen und ihn etwas kennenlernen. Wem gehört denn der Hund, und wo finde ich ihn denn?“ Wieder wusste ich nicht genau, was an meinen Worten so ungewöhnlich gewesen war, aber ich kam mir vor, als ob ich gerade vorgeschlagen hätte, den Präsidenten der Vereinigten Staaten nur mit meiner Badehose bekleidet im Weißen Haus besuchen zu wollen. Eine Mischung aus Befremdung und Verständnislosigkeit schlug mir entgegen und ich fühlte mich eigenartig deplatziert.
Schließlich tippte der ältere Mann hinter mir auf meine Schulter. Als ich mich umdrehte, sah er mich freundlich an und meinte: „Sie sind nicht von hier, Sie verstehen das nicht.“ Als ich ihn fragend ansah, fuhr er fort. „Diesen Hund, den Sie meinen, den können Sie nicht einfach so finden. Der gehört niemandem. Also, momentan zumindest. Sie können ihn nicht suchen, denn …“, er blickte mich fest an, „denn er kommt zu Ihnen, wenn er es für richtig hält.“
Aus allen Richtungen kam das ernste Nicken von bestätigenden Köpfen und ich fühlte mich etwas unwohl in meiner Haut. Da ich nicht genau wusste, was ich machen sollte, dankte ich nochmals murmelnd und verließ das Geschäft.

Draußen stand ich ratlos in der Gegend herum und ließ die seltsamen Aussagen nochmals auf mich einwirken. Was sollte das bedeuten: Er kommt zu mir, wenn er es für richtig hält? Und wieso gehörte er niemandem? War er ein Streuner? Die Reaktion der Menschen hatte mich noch neugieriger gemacht.
Als ich den älteren Herrn herauskommen sah, ging ich auf ihn zu. Als könnte er meine Gedanken lesen, lächelte er wissend. „Das lässt Ihnen keine Ruhe, was?“ Ich nickte, und er reichte mir seine kräftige, wettergegerbte Hand. „Timothy Lawson. Sie können mich Tim nennen.“ Sein Händedruck war fest und sicher. Er winkte mir, mit ihm zu kommen. „Wenn Sie mich nach Hause begleiten, dann erzähle ich Ihnen etwas über unseren Hund.“ Ich blieb verdutzt stehen. „Unseren Hund? Ich dachte, er gehört niemandem!“
Tim lächelte und machte eine ausladende Handbewegung. „Mit ‚unsere‘ meine ich die gesamte Stadt, eigentlich die Region.“

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Mehr über und von Bernhard Hoffmann auf seiner Website zum Buch.

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